mehr über das psychotrauma
Die Wissenschaft der Psychotraumatologie befasst sich mit dem Psychotrauma als einem Ereignis mit einer besonderen Qualität und dessen mögliche
Auswirkungen auf die betroffenen Menschen.
Ein Psychotrauma ist ein Ereignis, das an sich (objektiv) lebensbedrohlich ist oder für mich (subjektiv) lebensbedrohlich ist,
weil es meine momentanen Bewältigungsmöglichkeiten und Ressourcen völlig überfordert.
Es sind insbesondere die von Menschen verursachten und beabsichtigten Psychotraumata (man made disaster), die in ihrer Wirkung verheerend sein können.
Erlebe ich ein Psychotrauma, dann bin ich ohnmächtig und hilflos einer Lebensgefahr ausgeliefert.
Wenn ich mir selbst nicht mehr helfen kann und wenn mir auch sonst niemand hilft, wenn die Lebensgefahr aber unvermindert fortbesteht,
dann bleibt meinem Bewusstsein nichts mehr, als meinen Tod zu erwarten. Dieser tritt aber wider aller Erwartung nicht ein.
Ich habe meinen sicher geglaubten Tod überlebt.
Doch wie ist das möglich?
Unser menschlicher Körper und unsere menschliche Psyche reagieren auf diese existentielle Notfallsituation mit bestimmten Mechanismen.
Diese erleichtern uns entweder unser Sterben oder ermöglichen unser Überleben und Weiterleben mit dieser traumatischen Erfahrung.
Können wir uns angesichts der Lebensgefahr nicht in Sicherheit bringen, können wir unseren Körper nicht vor der Lebensgefahr schützen,
dann bleiben wir der Lebensgefahr ausgeliefert. Dann bleibt uns nichts anderes mehr, als uns innerlich davor zu schützen:
In diesem äußersten Notfall können wir uns von unserem Körper und unseren Gefühlen psychisch trennen.
Wir nehmen unseren Körper mitsamt seinen unerträglichen Schmerzen und unsere Gefühle – unsere Ohnmacht und Todesangst nicht mehr realistisch wahr
In einem Psychotrauma schaltet unsere Psyche von einem normalen Funktionsmodus in einen Überlebensmodus mit unterschiedlichen Überlebensmechanismen:
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Sie spalten das traumatische Geschehen so lange auf, bis wir dessen Einzelteile (Fragmente) nicht mehr als lebensbedrohlich wahrnehmen: Die einzelnen Bruchstücke – wie Bilder, Gedanken, Gerüche, Geräusche, Satzfetzen, Gefühle, Körperempfindungen, … ergeben kein sinnhaftes Ganzes mehr. Sie haben keinen Bezug mehr zueinander. Wir nehmen das Psychotrauma als solches nicht mehr wahr.
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Sie spalten unsere Persönlichkeit auf. Wir nehmen Realität nicht mehr als psychische Einheit wahr. Stattdessen leben wir in verschiedenen Anteilen, die immer nur einen Aspekt und Zustand unserer Persönlichkeit und unseres Lebens repräsentieren und wahrnehmen.
Zusammengefasst gibt es Anteile unserer Persönlichkeit (nach Franz Ruppert),
• die nichts wissen von dem Psychotrauma, die unversehrt sind als wäre nichts geschehen (gesunde Anteile),
• die andauernd im Psychotrauma leben, als würde es jetzt gerade stattfinden (traumatisierte Anteile),
• die zwar vom Psychotrauma wissen, uns aber davor schützen wollen und deswegen dafür sorgen, dass es relativiert, vertuscht, verdrängt, unbewusst, verleugnet und betäubt wird (Überlebensanteile). Aber das gelingt nicht durchgehend:
Obgleich unsere traumatischen Erlebnisse von unserem Bewusstsein getrennt sind, sind sie nicht weg. Wann immer uns etwas, an die abgespaltene traumatische Situation erinnert (Trigger), taucht das Psychotrauma plötzlich und unvermittelt wieder auf, überschwemmt unsere Psyche: Es ist so, als erlebten wir das Psychotrauma gerade wieder. Der traumatisierte Anteil übernimmt die Steuerung unserer Persönlichkeit, bis es den Überlebensanteilen wieder gelingt, diesen wieder aus dem Bewusstsein zu drängen. Der gesunde Anteil kann diese innerpsychischen Vorgänge nicht zuordnen, kann sie allenfalls wahrnehmen, kennt sich überhaupt nicht mehr aus, ist verunsichert und verstört. Es ist ein quälender Teufelskreislauf aus traumatischen Erinnerungen (Intrusionen) und den Abwehr- und Überlebensmechanismen. Bis uns wieder etwas an das Psychotrauma erinnert…
Diese Überlebensmechanismen stören und verhindern nachhaltig unsere normalen Prozesse des Wahrnehmens, des Verarbeitens, des Speicherns und Erinnerns.
Daraus resultieren verschiedene Traumafolgestörungen, wie psychische und körperliche Erkrankungen, Wahrnehmungsstörungen, Dissoziationsphänomene und Amnesien,
Beziehungsstörungen, Delinquenz, Suchterkrankungen,
... Es gibt keinen Bereich des menschlichen Lebens, der nicht betroffen sein kann.
Es sind diese mitunter schwerwiegenden und nachhaltigen Nebenwirkungen der Überlebensmechanismen, die unser Leben nach einem Trauma so belastend, anstrengend und quälend machen, und die auf Dauer so derart gesundheitsschädigend sind.